Das J2K-Problem: eine rechtliche Herausforderung !

Betriebs-Berater 1999, Heft 31 vom 5.8.1999, S. I (Editorial).

von Günter Reiner

Bis zum 1.1.2000 sind es knapp 150 Tage und noch immer gibt es zahlreiche, vor allem ältere Computer und prozessorgesteuerte Systeme (sog. „embedded systems") in Anwendungen unterschiedlichster Art, die die Kalenderdaten ab dem Jahr 2000 nicht korrekt erfassen (sog. „Jahr-2000"- oder „J2K"-Problem"). Mögliche technische Folge sind Fehlfunktionen oder völliges Systemversagen. Für Wirtschaftsunternehmen, die Computer oder „embedded systems" einsetzen, besteht das Risiko des Erleidens eigener Schäden (Datenverlust, Produktionsausfall, Fehlproduktion, Buchhaltungsfehler) oder der Verpflichtung zum Schadensersatz gegenüber Geschäftspartnern oder Dritten. Daneben besteht für alle Unternehmen die Gefahr, Opfer des Versagens der Geräte anderer zu werden und dadurch nicht ersetzbare Schäden zu erleiden. Besonders anfällig ist, wer mit Geschäftspartnern oder Behörden produktions- bzw. datenmäßig eng vernetzt ist. Speziell für Versicherer ergibt sich das zusätzliche Risiko einer atypischen, statistisch nicht erfassbaren Häufung von Schadensfällen. Risikoanalyse und -beseitigung sowie Notfallplanung können wegen der Komplexität der verwendeten Technik schwierig sein. Von entscheidender Bedeutung für die Risikoprävention ist deshalb der Informationsfluß zwischen Herstellern, Anwendern und Kunden.

Die Einschätzung der möglichen makroökonomischen Auswirkungen ist umstritten. Doch gleich, ob „Panikmache" oder berechtigte Warnung: Schon heute ist das Y2K-Problem zu einem enormen Wirtschaftsfaktor geworden. Allein die Deutsche Bank Gruppe veranschlagt in ihrem jüngsten Geschäftsbericht die Gesamtkosten ihres konzernweiten Jahr-2000-Projekts auf voraussichtlich über 1 Mrd. DM. Ernst genommen wird die J2K-Gefahr mittlerweile nicht nur von einem Teil der privaten Unternehmen und Verbände, sondern auch von den Regierungen und Verwaltungen auf nationaler und internationaler Ebene (siehe den „Fortschrittsbericht der Bundesregierung", April 1999).

Die entscheidende Zielrichtung der hoheitlichen Maßnahmen zur Risikoprävention ist die Förderung und Koordinierung der Selbsthilfe der potentiell betroffenen Marktteilnehmer durch Aufklärung. Die USA haben mit dem „Year 2000 Information and Readiness Disclosure Act" ein bemerkenswertes Sonderrecht zur Förderung der gegenseitigen Information der Marktteilnehmer geschaffen. Dieses Gesetz schließt bei einfacher Fahrlässigkeit die kapitalmarkt- und zivilrechtliche Haftung für falsche oder irreführende Auskünfte oder Veröffentlichungen über die Jahr 2000-Kompatibilität von Unternehmen, Produkten oder Dienstleistungen aus. Darüber hinaus befreit es jede Art von Marktverhalten, das die Behebung oder Vermeidung von Computerversagen zum Jahrtausendwechsel zum Ziel hat, von der Anwendung der Antitrust-Gesetzgebung.

Die rechtliche Bedeutung der Informationskampagne in Deutschland beschränkt sich demgegenüber auf die Entwicklung eines Fahrlässigkeits- bzw. Obliegenheitsstandards: In Zukunft wird sich ein professioneller Systemanwender kaum noch darauf berufen können, das J2K-Risiko sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen. Im Gegensatz zu den USA und anderen ausländischen Staaten hat der deutsche (und europäische) Gesetzgeber bisher auf die Schaffung von Sondernormen verzichtet - Zu Recht, denn die Spezifizität des J2K-Problems liegt nicht im rechtlichen, sondern im tatsächlichen Bereich. Sicherlich bestehen neben den technischen und wirtschaftlichen Risiken des J2K-Problems auch rechtliche Unsicherheiten („Rechtsrisiko"), insbesondere in Bezug auf die Ersatzfähigkeit der Kosten der Risikoprävention sowie entstandener Schäden. Hervorzuheben ist dabei die Problematik des kaufrechtlichen Fehlerbegriffs angesichts immer kürzerer Produktzyklen, der Verjährung, der nach- oder außervertraglichen Auskunfts-, Hinweis-, Warn- und Reparaturpflichten, des deliktischen Schutzes von Daten sowie der rechtlichen Anforderungen an das Risikomanagement. Aber solche Rechtsfragen treten nicht nur zum Jahrtausendwechsel, sondern immer dann auf, wenn es zu konstruktionsbedingten Funktionsstörungen von Computern und sonstigen prozessorgesteuerten Systemen kommt. Nur führt der Umstand, daß diese Störungen durch einen bloßen Datumswechsel ausgelöst werden, zur volkswirtschaftlich gefährlichen Gleichzeitigkeit und Massenhaftigkeit der Schadensereignisse, und hierin liegt die rechtstatsächliche Herausforderung des J2K-Problems: Rechtsfragen allgemeiner Art werden auf einen Schlag und mit der wirtschaftlichen und sozialen Brisanz eines Massenphänomens auf die juristische Tagesordnung gelangen - und dann wird ihre höchstrichterliche Klärung unvermeidlich sein. Die schiere Masse der Fälle wird zur Fortentwicklung des Rechts beitragen.

Dr. Günter Reiner, Konstanz                                                                                                           reiner@altavista.net
 

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