(Veröffentlichung in F&L von der Redaktion abgelehnt)
Schwerpunktheft „Wissenschaft und Politik“: eine verpasste Chance
Es ist löblich (und war höchste Zeit), dass Forschung & Lehre, das Leitorgan des Deutschen Hochschulverbands (DHV), in seinem Mai-Heft „Wissenschaft und Politik“ zum Schwerpunktthema erkoren hat. Immerhin vier Aufsätze (Bernhard Kempen, Klaus F. Gädertz, Karl-Rudof Korte, Armin Nassehi) und ein Interview (Brigitta Wolff) sind ihm gewidmet. Die Beiträge erörtern die schwierige Kommunikation zwischen Politik und Wissenschaft aufgrund unterschiedlicher Ziele und Erwartungen (z.B. Kempen, Nassehi), die Abgrenzung der wissenschaftlichen von politischen (jenseits ihrer Expertise liegenden) Meinungen sowie die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit (Gädertz, Wolff). Allgemein angesprochen wird zudem die Gefahr der Vereinnahmung der Wissenschaft durch übergriffige Wünsche der Politik (Kempen, Wolff) und die Tendenz zum Verantwortlichmachen der Wissenschaft für politische Entscheidungen (Wolff; tendenziell auch Kempen, Korte). Die Ausgrenzungen der vergangenen Jahre werden gestreift, kritisch („Jemanden auszuladen finde ich problematisch“, Wolff) und unkritisch („Irrationalität im Gewande von Verschwörungsfantasien und Falschnachrichten“, Korte). Nicht anzumerken ist dem Schwerpunktheft, dass sich die Wissenschaft quer durch die Disziplinen (inklusive meiner eigenen, der Rechtswissenschaft) während der harten Corona-Jahre, als unsere grundgesetzlichen Freiheiten im Zeichen „evidenzbasierter“ Politik ihre größte Bewährungsprobe erlebten, weitestgehend von Staat und Politik vereinnahmen ließ und in diesem Sinne versagt hat.
Zur Erinnerung: Der Fall Lauterbach, der so tat, „als sei er noch immer Wissenschaftler“ (Wolff), war dabei nur eine Anekdote. Es ging viel weiter. Der Staat hat – nicht zuletzt über seine überwiegend mit Wissenschaftlern besetzten Expertengremien (z.B. STIKO, Deutscher Ethikrat), die zuverlässig lieferten – die ihm genehme Wissenschaftsmeinung geradezu monopolisiert („follow the science“), dabei flankiert durch unkritische Leitmedien und eine ganz überwiegend regierungsnahe „Zivilgesellschaft“. Die dritte Gewalt, namentlich Bundesverfassungs- und -verwaltungsgericht, stützte sich bei der Aufgabe, härteste Grundrechtseingriffe auf Evidenzbasiertheit und Verhältnismäßigkeit zu prüfen, auf dieselben „mit spezifisch wissenschaftlicher Fachkompetenz ausgestatteten selbständigen Bundesoberbehörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit“ (BVerfG) wie der Gesetzgeber, den sie doch kontrollieren sollten. Abweichende wissenschaftliche Meinungen hatten es ausgesprochen schwer. Hochschulleitungen und Kollegen distanzierten sich von Abweichlern (Stichworte: „keine Plattform bieten“, Kontaktschuld); von den Leitmedien wurden sie geschnitten. Verfasser kritischer wissenschaftlicher Beiträge in den „sozialen“ Medien kämpften gegen Löschung, Drosselung, Demonetarisierung; sie wurden verunglimpft („Wissenschaftsleugner“, „Verschwörungstheoretiker“, „Querdenker“, „Rechtsextremer“) und ausgegrenzt. Der eine oder andere verlor nicht nur seine Ehre, sondern auch seinen Arbeitsplatz. „Politisch“ nicht „korrekte“ wissenschaftliche Meinungen riefen staatlich finanzierte Faktenfinder auf den Plan, die vorgeben, wissenschaftlich zu arbeiten und gerne ad personam argumentieren. Der Begriff „Political Correctness“ liegt beim Thema „Wissenschaft und Politik“ auf der Hand, kommt aber in keinem der fünf Beiträge vor. Ebenso unerwähnt bleibt der Verein „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit e.V.“, der 2021 entstand –aus gutem Grund. Auch die Verbände machten mit. Allen voran der Hochschulverband, der 2021 und 2022 jeweils ausgerechnet die Speerspitzen der staatlichen Corona-Politik – zwei Virologen, zwei Impfstofffabrikanten – zu Hochschullehrern des Jahres kürte. Geht es regierungsnäher? Im April-Heft 2023 erteilte unsere Verbandszeitschrift auf der ersten Seite einem Berufspolitiker und Nicht-Wissenschaftler (Kai Gehring) das Wort, der den ihm gewährten Raum prompt nutzte, um Kernbegriffe seiner politischen Agenda zu platzieren. Ich habe ein gewisses Verständnis für unseren Verein, vertritt er doch Tausende von Hochschullehrern, von denen die meisten mit dem Strom schwimmen. Aber das macht die Dinge nicht besser. Etwas mehr Mut wäre wichtig, denn die Vereinnahmung geht weiter, mit neuen Themen.
Professor Dr. jur. Günter Reiner, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
(Veröffentlichung in F&L von der Redaktion abgelehnt)
Verfassungsfeinde
Der Beitrag „Nicht mitspielen ist keine Lösung: Politik gehört auf den Campus“ (F&L 5/20, S. 422, 424) der Rektorin und Professorin für Rechtswissenschaft Anja Steinbeck kann nicht unwidersprochen bleiben. Die geschätzte Fachkollegin schreibt, die Gefahr, „dass der
Redner oder die Rednerin im Rahmen der Veranstaltung verfassungsfeindliche Thesen vertreten wird“, sei „wohl nicht von der Hand zu weisen“ gewesen, als Thilo Sarrazin an die Universität Siegen eingeladen worden sei, um über „den neuen Tugendterror – die Grenzen
der Meinungsfreiheit in Deutschland” zu sprechen. Gleiches gelte für einen Vortrag des Präsidenten der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt an der Universität Frankfurt zum Thema „Polizeialltag in der Einwanderungsgesellschaft“. Es ist mit Verlaub starker Tobak, das Sprechen über die Grenzen der Meinungsfreiheit oder über den Polizeialltag en passant als „verfassungsfeindlich“ zu bezeichnen. Zu Sarrazin bietet Steinbeck nicht den mindesten Versuch einer Begründung, zu Wendt schreibt die Autorin (schein)erklärend, er habe sich kritisch zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel geäußert und die Errichtung eines Zauns an der deutschen Grenze vorgeschlagen. Verfassungsfeindlich bedeutet „Bekämpfen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestands des Staates. Gefährdet in diesem Sinne also die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit, immerhin eines Eckpfeilers des demokratischen Rechtsstaats, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Staates? Oder das Kritisieren der Kanzlerin und das Sorgen um den Schutz der Staatsgrenze? Das genaue Gegenteil erscheint richtig,in jeder Beziehung.
Prof. Dr. jur. Günter Reiner, Helmut-Schmidt-Unversität, Universität
der Bundeswehr Hamburg
(erschienen in F&L-Heft 6/2020, Seite 526)
Stand: 2024