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Zusammenfassung des Forschungsprojekts
(Projekt gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft - DFG - im Rahmen eines Habilitationsstipendiums von 1998-2000)
Termingeschäfte über liquide Basiswerte mit Erfüllung in Natur werden als „derivateähnliche Verträge" definiert. Der mit Lieferung oder Abnahme verbunde-ne Vor- bzw. Nachteil lässt sich bei diesen Geschäften ohne weiteres am Kassa-markt in einen einseitigen Zahlungsstrom umwandeln. Das kann unter bestimmten Voraussetzungen ihre rechtliche Gleichbehandlung mit Derivaten rechtfertigen. Aus ähnlichen Gründen lassen sich Swaps mit Austausch der Nominalbeträge in den Begriff der derivateähnlichen Verträge aufnehmen.
Die gewählte Terminologie weicht von der gängigen Definition über die „Abgeleitetheit des Wertes" ab, der auch der deutsche Gesetzgeber in den §§ 2 II WpHG, 1 XI 4 KWG gefolgt ist. Ihr Vorteil liegt aber in der klaren Abgrenzung der Finanzderivate zu den sog. „Versicherungs"- und „Kreditderivaten" und sonsti-gen Termingeschäften mit nicht reproduzierbaren Zahlungsströmen (z.B. die sog. Basketball-„Futures" etc.), zu innovativen Finanzinstrumenten außerhalb des Terminmarktes (Wertpapierleih- und Pensionsgeschäfte, sog. „hybride Produkte", In-dexzertifikate, Asset Backed Securities) sowie zu herkömmlichen Finanzinstrumenten (z.B. Garantie- und Versicherungsvertrag). Vor allem erlaubt der Ansatz, das von einer außerordentlichen Vielfalt und Dynamik geprägte finanzwirtschaftli-che Phänomen der sog. „Derivate" vertragsrechtlich und, darauf aufbauend, auch in den übrigen untersuchten Rechtsgebieten in einer eindeutigen Weise zu erfassen. Dadurch wird es möglich, abstrakte Schlussfolgerungen zur rechtlichen Behandlung aller Derivate unabhängig von ihrer finanztechnischen Ausgestaltung im Ein-zelfall zu ziehen.
Eine wesentliche, aus dem Derivatebegriff unmittelbar ableitbare Erkenntnis betrifft die „Risikostruktur" von Derivaten einschließlich des Hebeleffekts (Teil B.). Sie kann für sich genommen entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis keine besondere Herausforderung für das Recht darstellen, weil die (definitionsgemäße) Reproduzierbarkeit der zukünftigen Zahlungsströme aus diesen Instrumenten am Kassamarkt („Bausteineffekt") gleichbedeutend ist mit der Reproduzierbarkeit der aus ihnen erwachsenden Marktrisiken. Letztere weisen demnach ihrer Art nach keine Besonderheiten gegenüber Risiken anderer Finanzanlagen auf.
Der Bausteineffekt (Näheres in Teil C.) erweist sich demgegenüber als tragfähiges Kriterium einer rechtlichen Sonderbehandlung von Derivaten gegenüber Finanzin-strumenten anderer Art - und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen die Werthal-tigkeit (objektive Bewertbarkeit) stochastisch bedingter Ansprüche bzw. Verbind-lichkeiten aus laufenden Derivaten und zum anderen die Möglichkeit der finanz-wirtschaftlichen Gleichwertigkeit unterschiedlich zusammengesetzter Portfolios aus Derivaten und herkömmlichen Finanzinstrumenten (Teil D.). Daraus ergibt sich die Frage der Gleichbehandlung „natürlicher" und „synthetischer", d.h. duplizierter Po-sitionen (Ansprüche/Verbindlichkeiten, Risiken, Zahlungsströme). Beide Aspekte, die Bedeutung der Werthaltigkeit laufender Derivate und die Frage der Gleichbe-handlung, bilden den einheitlichen Leitgedanken der Untersuchung im Besonderen Teil quer durch alle Rechtsgebiete. Die Ausgangsfrage nach den von Derivaten ausgehenden rechtlichen Herausforderungen lässt sich nunmehr auf die Frage nach der rechtlichen Anerkennung der Werthaltigkeit von Derivaten und nach der Gleichbehandlung finanzwirtschaftlich gleichwertiger Positionen („Anerkennung des Bausteineffekts") konkretisieren.
Sodann werden allgemeine rechtliche Vorbedingungen für die Lösung
der Frage-stellung entwickelt (Teil E.). Die Betrachtung beschränkt
sich zur Vereinfachung auf repräsentative Grundformen von Derivaten
und einfache Arten ihrer finanzwirt-schaftlichen Zerlegung oder Kombinierung
mit anderen Finanzstrumenten. Im ei-nem ersten Teil (Abschnitt „Regelungstechnik")
wird dargelegt, wie gesetzliche oder vertragliche Tatbestände beschaffen
sein müssen, damit eine Gleichbehand-lung natürlicher und synthetischer
Positionen möglich ist. Dabei wird zwischen „automatischer" und „bewusster"
Gleichbehandlung unterschieden. Führt bereits die „mechanische" Einzelsubsumtion
der natürlichen und synthetischen Instrumente unter das Gesetz bzw.
den Vertrag zu identischen Rechtsfolgen, ist die Gleichbe-handlung eine
„automatische". Ist das nicht der Fall, kommt ein korrigierender Eingriff
des Rechtsanwenders in das Ergebnis dieser Subsumtion in Betracht („bewusste"
Gleichbehandlung). Ein zweiter Abschnitt („Rechtsanwendung") widmet sich
den möglichen verfassungsrechtlichen und methodologischen Argumenten,
auf die eine bewusste Gleichbehandlung gestützt sein könnte.
Die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art.
3 I GG) für die rechtliche Anerkennung des Bausteineffekts ist grundsätzlich
gering, weil es dem Rechtsunterworfenen in der Regel zugemutet werden kann,
von seiner Privat-autonomie Gebrauch zu machen und die für ihn günstigste
Gestaltung zu wählen. Offen gelassen wird zunächst noch, ob sich
die Gewichte speziell im Steuerrecht wegen der besonderen Bedeutung des
Gleichheitssatzes dort verschieben. An-schließend wendet sich die
Betrachtung den Möglichkeiten und Grenzen der Auslegung des tatsächlichen
und hypothetischen Parteiwillens zu. Unter anderem geht es hierbei um die
Anwendbarkeit dispositiver Normen des Gesetzesrechts auf synthetische Verträge
und die Abgrenzung zum Scheingeschäft. Sodann werden mit-tels Analogie
und teleologischer Reduktion Wege der bewussten, rechtsfortbilden-den Gleichbehandlung
bei der Gesetzesanwendung erörtert. Die „wirtschaftliche Betrachtungsweise"
ist demgegenüber keine zusätzliche Methode der Rechtsfort-bildung,
sondern an die Grenzen der teleologischen Auslegung gebunden. Auch der
Gesetzesumgehung wird der Charakter eines eigenständigen Rechtsinstituts
abge-sprochen. Sie ist eine bloße Frage der Rechtsanwendung in der
Grenzen der Ausle-gung, der Analogie oder der teleologischen Reduktion.
In Teil A. („Bestandsaufnahme") wird untersucht, wie Derivate nach der geltenden Gesetzeslage und Rechtsprechung behandelt werden und inwieweit die Gleichbe-handlung finanzwirtschaftlich gleichwertiger Positionen sichergestellt ist. Der erste Abschnitt gilt dem Börsentermin-, Differenz- und Spieleinwand. Der Börsenter-mineinwand (§§ 50 ff. BörsG) ist von erheblichen Unklarheiten um den Begriff des Börsentermingeschäfts geprägt. Diese sind Folge der teilweise inhomogen Geset-zeszwecke (Privilegierung von Spiel- und Differenzeinwand, Förderung des Finanzplatzes Deutschland, Anlegerschutz). Feststellen lässt sich aber eine Ver-wandtschaft des „Börsentermingeschäfts" mit dem Begriff des Derivats bzw. des derivateähnlichen Geschäfts. Alle von der Rechtsprechung als Börsenterminge-schäfte qualifizierten Verträge waren bislang Derivate bzw. entsprechende Ge-schäfte mit Erfüllung in Natur. In Bezug auf den Bausteineffekt ist in Einzelent-scheidungen des BGH zum „verdeckten Börsentermingeschäft" (kreditierter Kassaleerverkauf) eine bewusste Gleichbehandlung feststellbar. Differenz- und Spiel-einwand (§§ 764, 762 BGB) sind für Derivate seit der Ausweitung des internatio-nalen Anwendungsbereichs des Börsentermineinwands (§ 61 BörsG) wegen § 58 BörsG, wenn überhaupt, nur noch von geringer praktischer Bedeutung. Entgegen der Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass echte (glattstellbare) Lie-fergeschäfte mit Erfüllung in Natur (derivateähnliche Verträge) mit einseitiger Differenzerzielungsabsicht (unechte Differenzgeschäfte) unter § 764 S. 2 BGB fallen. Als Anerkennung des Bausteineffekts lässt sich eine Entscheidung des BGH interpretieren, wo das Gericht den Differenzeinwand auf eine Kombination aus Leerverkauf von Wertpapieren und Wertpapierleihe anwendet.
Der zweite Abschnitt der „Bestandsaufnahme" gilt der Rechtsprechung zu den un-geschriebenen vertraglichen bzw. vorvertraglichen Informationspflichten informationell überlegener Vertragspartner im Allgemeinen und von Finanzintermediären im Besonderen. Zur Wahrung der Parallelität und Vergleichbarkeit zum Börsen-termineinwand beschränken sich die Ausführungen auf Personen, die selbst als Ei-genhändler oder Kommissionäre mit dem Anleger ein Vertragsverhältnis über sto-chastisch bedingte bzw., bei Erfüllung in Natur, wertschwankende Ansprüche ein-gehen. Die von der Rechtsprechung alternativ, teilweise auch kumulativ verwendeten Begriffe „Aufklärungs"-, „Hinweis"-, „Offenbarungs"-, „Beratungs"- oder „Warnpflichten" sind weitgehend austauschbar. Insbesondere bei den sog. „Beratungspflichten" geht es nicht um selbständig einklagbare Pflichten zur Abgabe positiver Anlageempfehlungen. Die Analyse der einschlägigen Gerichtsentschei-dungen ergibt ferner die Austauschbarkeit der dogmatischen Begründung der Pflichtbindung. Das betrifft das Bestehen vorvertraglicher Pflichten (c.i.c.) auf der einen und die „Fiktion" eines selbständigen Beratungsvertrags (pFV) auf der ande-ren Seite. Beide Konstruktionen lassen sich in ihren tatsächlichen Voraussetzungen kaum gegeneinander abgrenzen. Der Verkauf und Vertrieb von Finanzanlagen zeichnet sich durch eine besonders reichhaltige und weitgehende Rechtsprechung zur Verlustrisikoaufklärung des unerfahrenen Vertragspartners (Anlegers) aus. De-rivate (namentlich Termindirekt- und Optionsgeschäfte) nehmen innerhalb dieser Fallgruppe wegen des Erfordernisses der Schriftlichkeit der erteilten Risikoinfor-mation sowie der Aufdeckung der Preisgestaltung (Option) eine Sonderstellung ein. Der Bausteineffekt findet im Rahmen der Informationspflichten keine Berücksichtigung. Darlehensfinanzierte Kassageschäfte werden vom BGH trotz identi-scher Anlagerisiken (Hebeleffekt) nicht am erhöhten Standard für Termingeschäfte, sondern nur nach den allgemeinen, im „Bond"-Urteil skizzierten Anforderungen gemessen.
In Teil B. („Stellungnahme") wird ein eigenes Modell zum Verständnis des Spiel-, Differenz- und Börsentermineinwands entwickelt. Darauf aufbauend gelangt man zu einer veränderten Aufgabenverteilung zwischen dem Börsentermineinwand und den allgemeinen (vor-)vertraglichen Informationspflichten. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Feststellung, dass der innere Grund für die fehlende Klagbar-keit des Spielvertrags weder dessen Verwerflichkeit, dessen Gefährlichkeit noch irgendein (sonstiges) öffentliches Interesse ist, sondern das zwingend vorgegebene, einseitige Scheitern der Leistungszweckbestimmung aus der Sicht der jeweils ver-lierenden Partei. Diesbezüglich wird von der „hinkenden causa" des Spielvertrags gesprochen. Wirksame aleatorische Geschäfte sind demgegenüber Austauschverträge, bei denen die stochastisch unsicheren Leistungspflichten bereits für sich Teil der synallagmatischen Verknüpfung sind, und nicht erst die unsicheren Leistungen selbst, auf die diese Pflichten gerichtet sind. Das setzt voraus, dass die stochastisch bedingten Positionen für die Vertragspartner einen subjektiven Eigenwert besitzen. Beim Versicherungsvertrag als Beispiel eines wirksamen aleatorischen Geschäfts ist diese Voraussetzung in Gestalt des werthaltigen „Versicherungsschutzes" erfüllt.
Die Wirksamkeit derivativer Termingeschäfte rechtfertigt sich dementsprechend mit dem objektiven Marktwert der einseitigen (Option) bzw. gegenseitigen (Festgeschäft) stochastisch bedingten Ansprüche sowie, hiermit zusammenhän-gend, mit der Verwendbarkeit dieser Positionen als Baustein zum Hedging oder Financial Engineering. Wegen der hohen Technizität von Derivaten ist einschrän-kend zu verlangen, dass die Vertragsparteien aufgrund ihrer persönlichen Qualifi-kation in der Lage sind, die genannten Vorteile ihrer Derivatepositionen auch tat-sächlich zu nutzen. Die Regelung des Differenzeinwands in der Fallgruppe des echten (derivativen) Differenzgeschäfts mißachtet diese Zusammenhänge. Der Börsentermineinwand berücksichtigt sie in seiner gegenwärtigen Form nur teilwei-se, nämlich nur insoweit, als er Kaufleute und Börsenleute für börsentermingeschäftsfähig erklärt und damit vom Börsentermineinwand freistellt. Für Privatanleger vermischt das Informationsmodell des § 53 II BörsG dagegen die Frage der Wirksamkeit des Geschäfts mit dem Gedanken des Anlegerschutzes. Dadurch ent-stehen systematische Ungereimtheiten im Verhältnis zum Spieleinwand auf der ei-nen und zu den allgemeinen (vor-)vertraglichen Informationspflichten auf der ande-ren Seite. Empfohlen wird daher die ersatzlose Streichung des Börsentermin- und des Differenzeinwands. Das setzt allerdings voraus, dass man den Spieleinwand in Zukunft in der empfohlenen Weise auslegt.
Die allgemeinen (vor-)vertraglichen Informationspflichten sind für
den Risiko-schutz der Anleger durch Information ausreichend. Die einschlägige
Rechtspre-chung verkennt hier im Übrigen die rechtliche Bedeutung
der finanzwirtschaftli-chen Eigenschaften von Derivaten. Die Vermittlung
derivativer Instrumente durch Eigenhandel oder Geschäftsbesorgung
rechtfertigt im Vergleich zu sonstigen Anlagen keine qualitativ unterschiedlichen
Informationspflichten. Die gebotene Information ist jeweils eine quantitative
Funktion der mit der Anlage verbundenen Ver-lustrisiken sowie der Erkennbarkeit
dieser Risiken für den Anleger. Derivate aber erzeugen keine Marktrisiken,
die nicht auch bei Kassaanlagen entstehen könnten. Unterschiedliche
Anforderungen an die Informationspflichten zwischen natürlichen und
synthetischen Derivaten sind allenfalls dann gerechtfertigt, wenn feststeht,
dass der Hebeleffekt nicht gleich gut erkennbar ist.
In Teil B. („Stellungnahme") wird eine eigene Konzeption zum Verständnis des § 104 II, III InsO entwickelt. Danach darf diese Vorschrift nicht als systemfremde Konzession des deutschen Gesetzgebers an den internationalen Wettbewerb der Kapitalmärkte missverstanden werden. Vielmehr befindet sich die Regelung in Ein-klang mit den allgemeinen vertrags- und insolvenzrechtlichen Grundsätzen, als deren Anwendung auf die besonderen finanzwirtschaftlichen Eigenschaften derivati-ver und derivateähnlicher Verträge (Werthaltigkeit) sie sich begreifen lässt. Die beiden herkömmlicherweise als Normzweck der gesetzlichen Beendigung von Finanztermin- und Fixgeschäften ausgewiesenen Aspekte, die Verhinderung der Kursspekulation durch den Insolvenzverwalter und die Vermeidung einer einseiti-gen Ausübung des Wahlrechts zu Lasten des vertragstreuen Vertragspartners („cherry picking"), vermögen nicht zu überzeugen. Denn da Positionen in laufenden Derivaten bzw. derivateähnlichen Geschäften jederzeit reproduzierbar und glattstellbar sind, ist der Insolvenzverwalter für die Spekulation nicht auf die Fort-führung des Geschäfts und der Insolvenzgläubiger zur Vermeidung der Folgen ei-nes „cherry picking" nicht auf die vorzeitige Beendigung des Vertrags angewiesen. Das alternativ vorgeschlagene Erklärungsmodell beruht demgegenüber auf der jederzeitigen Reproduzier- und Glattstellbarkeit und der damit verbundenen Werthaltigkeit stochastisch werthaltiger Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten. Demnach sind laufende Derivate keine „schwebenden" Geschäfte i.S. des § 103 InsO, weil sich bei ihnen der synallagmatische Austausch mit der Begründung der stochastisch bedingten Leistungspflichten sowie, bei Optionen, mit der Bezahlung der Prämie bereits vollständig verwirklicht. Diese Einschätzung liegt in der Konsequenz der im vorausgehenden, dritten Kapitel („Vertragsrecht") entwickelten vertragsrechtlichen Qualifikation. Die gesetzliche Beendigung von Derivaten und derivateähnlichen Geschäften mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ihre Abrechnung über einen einheitlichen Ausgleichsanspruch lässt sich als „Reduktion" des rechtlichen Gehalts dieser Verträge auf ihren finanzwirtschaftlichen Gehalt begreifen, nämlich auf eine sofort fällige Forderung bzw. Verbindlichkeit in Höhe des aktuellen Marktwertes der Position. Die „Forderung wegen der Nichterfüllung" nach § 104 III InsO verkörpert die positiven bzw. negativen Ersatzbeschaffungskosten.
Aus diesem Ansatz folgt, dass alle Derivate und derivateähnlichen Geschäfte ent-weder Fixgeschäfte i.S. des § 104 I InsO oder Finanztermingeschäfte i.S. des § 104 II InsO sind. Ferner ist § 104 II InsO bei Existenz eines liquiden Sekundärmarktes auf nichtderivative, ausschließlich aleatorische Termingeschäfte (mit Barausgleich) anwendbar. Hierin liegt eine Parallele zum Spieleinwand, der nach der hier vertretenen Konzeption (s.o. 1.) bei Geschäften der zuletzt genannten Art ebenfalls nicht einschlägig ist. Die rechtliche Anerkennung von Einzeltransaktionen, die durch ei-nen Rahmenvertrag zusammengefasst und einer einheitlichen Beendigung unterworfen sind, als einheitlichen Vertrag (§ 104 II 3 InsO) lässt sich als grundsätzliche gesetzliche Zulassung der Aufrechnung gegenseitiger Einzelausgleichsansprüche aus unterschiedlichen Transaktionen zwischen personengleichen Vertragspartnern deuten. Aus dem Blickwinkel der allgemeinen Vorschriften zur Insolvenzaufrech-nung werden diese Ansprüche damit im Ergebnis so behandelt, wie wenn sie bereits vor Verfahrenseröffnung entstanden wären. Auch hierin liegt eine insolvenz-rechtliche Anerkennung der Werthaltigkeit derivativer bzw. derivateähnlicher Positionen.
Die rechtliche Anerkennung des Bausteineffekts entfaltet im Gegensatz
zur Aner-kennung der Werthaltigkeit im Insolvenzrecht nur geringe Bedeutung.
Die automatische insolvenzrechtliche Gleichbehandlung natürlicher
und synthetischer Posi-tionen ist nur in dem Sonderfall sichergestellt,
dass bestimmte Fix- oder Finanztermingeschäfte durch Kombinationen
aus anderen Fix- oder Finanztermingeschäfte nachgebildet werden. Darüber
hinaus verbieten die Eigenheiten des Insolvenzrechts eine von zivilrechtlichen
Kategorien abgehobene, finanzwirtschaftliche Betrachtung der Tatbestandsmerkmale
des § 104 I, II InsO im Sinne einer bewussten Gleichbehandlung.
Bei der Bemessung der Marktrisiken sieht der Grundsatz I des BAK zu
§ 10 KWG für die dort geregelten Standardverfahren ausdrücklich
die Zerlegung von Derivaten in ihre finanzwirtschaftlichen Bausteine vor.
Die Gleichbehandlung von natürlichen und synthetischen Positionen
ist sichergestellt. Das Gleiche gilt für die internen Marktrisikomessmodelle.
Diese werden aufsichtsrechtlich nur anerkannt, wenn sie die Volatilitäten
der Basiswertschwankungen sowie die zwischen ihnen beste-henden Korrelationen
mit ausreichender Genauigkeit abbilden und deshalb die Gesetzesmäßigkeiten
des Bausteineffekts berücksichtigen. Die Kreditrisiken aus De-rivaten
hängen von zwei Faktoren ab: von der persönlichen Kreditwürdigkeit
des Vertragspartners und von der Höhe der Forderung bei Fälligkeit
und damit vom Marktrisiko. Da sich der Bausteineffekt auf das Marktrisiko
beschränkt, führen finanzwirtschaftlich gleichwertige Positionen
nach Grundsatz I zu Recht nur dann zu gleich hohen Kapitalanforderungen
an die Unterlegung des Kreditrisikos, wenn die Kreditwürdigkeit der
Vertragspartner gleich hoch einzuschätzen ist bzw. wenn die Vertragspartner
der synthetischen Position derselben Risikoklasse zuzuordnen sind und geschäftsimmanente
Möglichkeiten zur Besicherung und Aufrechnung genutzt werden. In Bezug
auf die Anerkennung positiv werthaltiger Positionen als unterlegungsfähige
Eigenmittel ist die Gleichbehandlung nur unvollständig verwirklicht,
nämlich im Bereich des Handelsbuchs.
In Teil A. wird zunächst die Bedeutung des Bausteineffekts vor dem Hintergrund der verschiedenen Bilanzierungsziele erleuchtet. In einer „Bestandsaufnahme" (Teil B.) wird dann der bisherige Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum zusammengefasst. Laufende marktwertschwankende Positionen in Derivaten und derivateähnlichen Verträgen werden danach entweder als bilanzunwirksame schwebende Verträge (Terminfestgeschäfte, Swaps) oder als Vermögensgegenstände (Optionskäufer) und Verbindlichkeiten (Stillhalter) behandelt. Für Marktwertverluste, die nach Vertragsschluss bzw. Sekundärerwerb erlitten wurden, werden Drohverlustrückstellungen angesetzt. Marktwertgewinne bleiben unberücksichtigt (imparitätische Marktbewertung).
Die anschließende „Stellungnahme" (Teil C.) gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten („Werthaltigkeit") wird eine eigene Konzeption zur Bilanzierung von Derivaten entwickelt. Wie schon im Vertrags- und Insolvenzrecht baut sie auf der Werthaltigkeit stochastisch wertschwankender Positionen und der Besonderheit des vertraglichen Leistungsaustausches bei solchen Geschäften auf. Die herkömmliche Bilanzierung ist aus dieser Sicht zwar im Ergebnis zutreffend; in Bezug auf den Bilanzansatz verkennt sie aber die finanzwirtschaftlichen Eigenschaften deriva-tiver Instrumente. Bei Short-Optionen sind Verluste nicht durch Drohverlustrückstellungen, sondern durch Zuschreibungen zur Optionsverpflichtung abzubilden. Festgeschäfte sind wie die Kombination zweier wechselseitiger Optionen zu bilanzieren. Demgemäß sind sie bei Vertragsschluss gleichzeitig als Forderungen und als Verbindlichkeit in Höhe des (theoretischen) Marktwertes entsprechender Optionen anzusetzen. Dadurch lassen sich systematische Widersprüche vermeiden, welche die herkömmliche Bilanzierung kennzeichnen. Zudem kommt dieser Ansatz dem praktischen Informationsbedürfnis nach verbesserter Publizität des Einsatzes von Derivaten entgegen, ohne dafür das Vorsichtsprinzip zu opfern.
Der zweite Abschnitt der Stellungnahme („Gleichbehandlung") untersucht die Konsequenzen, die sich aus der Bilanzierung einzelner laufender Derivate für die Gleichbehandlung natürlicher und synthetischer Positionen ergeben. Das Bedürfnis des Bilanzrechts nach innerer Kohärenz bei der Verwirklichung der Bilanzierungs-ziele verlangt eine möglichst weitgehende bilanzrechtliche Gleichbehandlung bei der ergebniswirksamen Abbildung von Marktwertschwankungen laufender, finanzwirtschaftlich gleichwertiger Positionen entsprechend den Vorgaben des Bausteineffekts. Andernfalls entstehen Möglichkeiten der Bilanzarbitrage mit dem Effekt, dass sich Gewinne in spätere Bilanzierungszeiträume verschieben lassen. Tat-sächlich ist die ergebnisgleiche Bilanzierung natürlicher und synthetischer Positionen nach geltendem Bilanzrecht weitgehend sichergestellt. Das Imparitätsprinzip kann bei kombinierten Positionen in Verbindung mit dem Einzelbewertungsprinzip zwar dazu führen, dass bestehende (negative) Korrelationseffekte nicht zutreffend abgebildet werden. Dem steht aber die handelsrechtliche Pflicht zur Bildung von Bewertungseinheiten gegenüber. Sie ist ein Beispiel für die bewusste Gleichbe-handlung durch Integration. Der Umstand, dass es sich praktisch nicht kontrollie-ren lässt, wenn der Bilanzierende dieser Pflicht zur Erzeugung „künstlicher Verluste" bewusst nicht nachkommt, stellt diese Konzeption nicht als solche in Frage. Der Nachweis subjektiver Kriterien ist ein allgemeines Problem, mit dem nicht nur das Bilanzrecht, sondern die gesamte Rechtsordnung zu kämpfen hat. Die rechtliche Zerlegung eines Finanzinstruments in seine finanzwirtschaftlichen Bestandteile für die Zwecke seiner Bewertung kommt im Gegensatz zur Integration wegen der Gefahr von Widersprüchen nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Die alternativ zu den Bewertungseinheiten de lege ferenda als Lösung
angebotene allgemeine paritätische Marktwertbilanzierung kommt zwar
in bestimmten Grenzen ohne subjektive Kriterien in der Person des Bilanzierenden
aus und garantiert insoweit die automatische Gleichbehandlung natürlicher
und synthetischer Positionen. Dennoch ist eine Gesetzesänderung in
diese Richtung abzulehnen, weil sie ei-ne Abkehr vom Vorsichtsprinzip zur
Folge hätte. Dieser Grundsatz aber ist untrennbar mit der Funktion
der Handelsbilanz bei der Durchsetzung des gesell-schaftsrechtlichen Kapitalschutzes
verbunden.
Teil B. („Steuerrechtliche Vorbedingungen") widmet sich den allgemeinen steuer-rechtlichen Maßstäben für die Beantwortung der Fragestellung, soweit sie von den im ersten Kapitel (oben A.) entwickelten Grundsätzen abweichen könnten. Er beginnt mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, der nach der Verfassungs-rechtsprechung „in besonderem Maße für Steuergesetze" gilt. Im Gegensatz zum BVerfG wird der Grund hierfür nicht in der besonderen Eingriffstiefe des Steuer-rechts gesehen, sondern in der Diskrepanz zwischen der tatbestandlichen Komple-xität der Steuerrechtsnormen auf der einen und der Gleichförmigkeit ihrer Rechts-folgen (Geldleistungspflicht) auf der anderen Seite. Dadurch werden nämlich die Belastungen der einzelnen Bürger durch das Steuerrecht über die ganze Spann-breite seines Anwendungsbereichs hinweg miteinander vergleichbar. Ein weiterer Grund liegt in dem Umstand, dass man aus dem Steuerzweck der Einnahmener-zielung für sich allein keine sachliche Differenzierungskriterien ableiten kann, da er unmittelbar nur auf die Interessen des Staates und nicht auf die seiner Bürger aus-gerichtet ist. Eine Pflicht zur steuerrechtlichen Gleichbehandlung finanzwirtschaftlich gleichwertiger Positionen lässt sich aus Art. 3 I GG dennoch in der Regel ebenso wenig ableiten wie in anderen Rechtsgebieten. Der Grund hierfür liegt wiederum in der bestehenden privatautonomen Gestaltungsfreiheit und der damit verbundenen Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen für seine Steuerfolgen.
Die weiteren Betrachtungen beziehen sich auf die methodologischen Fragen der steuerrechtlichen Gesetzesanwendung. Die Bedeutung der §§ 39 und 41 I, II AO als Anwendungsfälle der sog. „wirtschaftlichen Betrachtungsweise" ist in Zusam-menhang mit der rechtlichen Behandlung des Bausteineffekts gering. Die steuerbelastende Analogie bzw. Reduktion ist grundsätzlich methodologisch möglich und verfassungsrechtlich zulässig. Die Steuerumgehung (§ 42 AO) wird als Anwendungsfall der (zulässigen) steuerverschärfenden Auslegung, Analogie oder Reduktion betrachtet.
In Teil C. wendet sich die Untersuchung den privaten Überschusseinkünften (§ 2 I 1 Nr. 4-7- EStG) zu. Das Markteinkommensprinzip führt hier zu einer nur selekti-ven Erfassung von (realisierten) Vermögensbewegungen. Eine Besteuerung von Derivaten mit positivem Marktwert bei ihrem Eintritt in das Vermögen des Steuer-pflichtigen kommt in Gestalt der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 I 1 Nr. 1 EStG (Arbeitslohn, z.B. bestimmte Arten von Stock Options), in Ausnahmefällen auch als Gewinn aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) sowie als „Entgelt" für eine zeitlich vorausgegangene Kapitalüberlassung (§ 20 I Nr. 7, II 1 Nr. 1 EStG) in Betracht. Das ist jeweils eine steuerrechtliche Konsequenz aus der Werthaltigkeit derivativer Finanzinstrumente. Marktwertgewinne und -verluste aus Derivaten und derivateähnlichen Geschäften, die sich bereits im Privatvermögen befinden, sind nur steuerwirksam, wenn sie innerhalb eines Jahres nach Erwerb des Leistungsanspruchs realisiert werden (§ 23 I 1 Nr. 4 EStG für Primärgeschäfte und § 23 I 1 Nr. 2 für Sekundärgeschäfte). Im Gegensatz zu entgegenstehenden Äußerungen im Schrifttum wird auf der Basis eines weiten Begriffs des „Termingeschäfts" (§ 23 I 1 Nr. 4 EStG) davon ausgegangen, dass die frühere Rechtsprechung zur Besteuerung von Stillhalterprämien nach § 22 Nr. 3 EStG nunmehr überholt ist.
Möglichkeiten der Steuerarbitrage mit Derivaten ergeben sich im Verhältnis zwischen § 20 I Nr. 7 EStG und § 23 I EStG. Das Ideal einer automatischen steuerrechtlichen Gleichbehandlung natürlicher und synthetischer Kapitalüberlassungen sowie, außerhalb des eigentlichen Bausteineffekts, zwischen strukturierten Anleihen und gleichwertigen Kombinationen aus herkömmlichen Anleihen und Derivaten wird immer dort verfehlt, wo sich die Jahresfrist des § 23 I 1 Nr. 2, 3 und 4 EStG sowie die Verlustausgleichsverbote des § 23 III 8 EStG und des § 2 III 3 EStG auswirken. Eine rechtsfortbildende bewusste Gleichbehandlung im Wege der Integration von Zahlungsströmen der steuerlich unbeachtlichen Vermögenssphäre mit steuerwirksamen Zahlungsströmen zu Einkünften aus synthetischen (tatbestandsmäßigen bzw. steuerunwirksamen) Geschäften ist nicht möglich, weil sie neue Ungleichbehandlungen und Widersprüche verursacht. Dasselbe gilt für die steuerrechtliche Zerlegung von Finanzinstrumenten in ihre Bausteine. Der „eingebaute" Wertungswiderspruch zwischen § 20 und 23 EStG lässt sich nur durch Gesetzeskorrekturen lösen. Hierzu empfiehlt sich, die Besteuerung von Termin- und Veräußerungsgeschäften (bei liquiden Basiswerten) über die Jahres-frist des § 23 I EStG hinaus zeitlich auszudehnen. Außerdem sind die Verlustausgleichsverbote aufzuheben.
Im letzten Teil (D.) des sechsten Kapitels wendet sich die Betrachtung
den ge-werblichen Einkünften zu. In Bezug auf bilanzierende Unternehmen
werden vor allem zwei für die Anerkennung des Bausteineffekts bedeutsame
Ausnahmen vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handels- für
die Steuerbilanz identifiziert, die erst in den letzten beiden Jahren in
das Gesetz aufgenommen wurden: das seit 1998 geltende bilanzsteuerrechtliche
Verbot von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden
Geschäften nach § 5 IVa EStG sowie das 1999 eingeführte
Ver-lustausgleichsverbot für Termingeschäfte (§ 15 IV EStG).
Das Verbot von Drohverlustrückstellungen führt allerdings nur
dann zu Abweichungen von der Handels-bilanz, die sich auf die Gleichbehandlung
natürlicher und synthetischer Positionen auswirken, wenn man der herrschenden,
hier abgelehnten (oben 6.) Ansicht von der Behandlung dieser Instrumente
als schwebende Verträge folgt. Wertungswidersprüche zwischen
Kassa- und Terminanlagen können dann dadurch entstehen, dass das Niederst-
bzw. Höchstwertprinzip trotz der Neuregelung der Teilwertabschrei-bung
(§ 6 I EStG) jedenfalls für „voraussichtlich dauernde Wertminderungen"
nach wie vor steuerliche Geltung beansprucht. Das Verlustausgleichsverbot
des § 15 IV EStG muss mangels sachlicher Rechtfertigung als verfassungswidrig
eingestuft werden.
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