Günter Reiner
Leserbriefe/
Readers' letters/Lettres de lecteurs/Письма в редакцию
Leserbrief vom April 2025 an die Redaktion der
Zeitschrift "Forschung&Lehre" (hrsg. im Auftrag des
Präsidiums des Deutschen Hochschulverbandes) zu Heft 4 mit dem
Schwerpunktthema "Freiheit unter Druck"
Wissenschaftsfreiheit
unter staatlichem Druck
Heft
4/25 ist dem Schwerpunktthema „Freiheit unter Druck“ gewidmet.
Freiheit bedeutet das Ausbleiben staatlicher Übergriffe und, in
schwerwiegenden Fällen, staatlichen Schutz gegen private Übergriffe.
Insofern hätte es nahe gelegen, die immer größeren Repressionen zu
thematisieren, denen kritische Wissenschaftler durch Behörden und
Aktivisten ausgesetzt sind. Aktuelles Beispiel ist die
Diffamierungskampagne gegen die Historiker Benjamin Hasselhorn und
Peter Hoeres. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, das sich nicht ohne
Grund 2021 als Verein mit inzwischen über 700 Mitgliedern gegründet
hat und dessen Vorstand Hoeres angehört, sieht sich bemüßigt, der
Leitung der Universität Würzburg in einer Pressemitteilung
vorzuwerfen, in diesem Fall „jede Fairness in verfahrensrechtlicher
Hinsicht vermissen“ zu lassen. Weitere Beispiele für sich kritisch
exponierende Hochschullehrer, die es mit Diffamierungen, amtlichen
„Distanzierungen“, Disziplinar- und Strafverfahren,
Hausdurchsuchungen oder Kündigungen zu tun bekamen, sind Sucharit
Bhakdi, Ulrike Guérot, Stefan Hockertz, Stefan Homburg, Ulrike
Kämmerer, Christof Kuhbandner, Michael Meyen, Andreas Sönnichsen
und Martin Wagener – jeweils offiziell aus anderen Gründen, aber
doch mit erkennbarem Muster (s. auch Egner/Uhlenwinkel, Ordnung der
Wissenschaft 2021, 173 ff.). Ende März hat der aufgelöste Bundestag
quasi „über Nacht“ das Schlagwort der „Klimaneutralität“
und damit eine allgemein verbreitete, aber keineswegs unumstrittene
Wissenschaftsmeinung im Grundgesetz (Art. 143h) verankert. Es ist die
Durchsetzung des Prinzips der Alternativlosigkeit in seiner
extremsten Form.
Der
einzige Beitrag im Themenheft, der die Wissenschaftsfreiheit
ernsthaft adressiert, stammt vom Philosophen Gosepath. Während der
Corona-Pandemie hätten die einen die politische Interpretation
wissenschaftlicher Fragestellungen und Ergebnisse „als längst
fällige Übernahme von Verantwortung“ gesehen, die anderen sie
aber „als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und als
zunehmenden Bekenntniszwang“ wahrgenommen. Immerhin eine Andeutung,
aber das war es dann auch. 
Die
übrigen drei Autoren, der Politikwissenschaftler und
DHV-Vizepräsident Korte, der Jurist Gädertz und die
Medienwissenschaftlerin Elmer schreiben von der Gefährdung der
geltenden Ordnung durch vorgebliche „Feinde“ der Freiheit und
Demokratie, namentlich die politische Opposition und Desinformanten.
Der „Kampf gegen Desinformation“, prominent etabliert durch den
Digital Service Act (DSA) der EU, ist ein Code für die Beschränkung
(bisher noch) erlaubter Äußerungen. Obwohl die künftigen
Koalitionäre aus CDU und SPD ihn gemäß dem durchgestochenen
Sondierungspapier „entschiedener denn je“ führen wollen, ist der
daraus resultierende „Druck“ auf die Freiheit, auch diejenige der
Wissenschaft, im „Schwerpunkt“ des Hefts 4/25 kein Thema.
Diejenigen, die noch die vergangenen Themenschwerpunkte
„Verantwortung“ (Heft 4/2024) und „Wissenschaft und Politik“
(Heft 5/2023) als vertane Chancen in Erinnerung haben, sehen sich in
ihrer Einschätzung des Hochschulverbandes und seiner Zeitschrift als
herrschaftsnahe Institutionen bestätigt. 
Professor
Dr. jur. Günter Reiner, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
(von der F&L-Redaktion nicht zur Veröffentlichung angenommen)
      
Leserbrief (mit Jan Dochhorn und Axel Bernd Kunze) vom
April 2024 an die Redaktion der Zeitschrift "Forschung&Lehre"
(hrsg. im Auftrag des Präsidiums des Deutschen
Hochschulverbandes) zu Heft 4 mit dem Schwerpunktthema "Verantwortung"
Verantwortung der Wissenschaft für die Schäden der Corona-Politik
erschienen im Blog BILDUNGSETHIK von Axel Bernd Kunze: https://bildung-und-ethik.com/2024/06/04/verantwortung-der-wissenschaft-fur-die-schaden-der-corona-politik/
(von der F&L-Redaktion nicht zur Veröffentlichung angenommen)
Leserbrief vom Mai 2023 an die Redaktion der
Zeitschrift "Forschung&Lehre" (hrsg. im Auftrag des
Präsidiums des Deutschen Hochschulverbandes) zu Heft 5 mit dem
Schwerpunktthema "Wissenschaft und Politik"
Schwerpunktheft „Wissenschaft und Politik“: eine verpasste Chance
Es ist löblich (und war höchste
Zeit), dass Forschung & Lehre, das Leitorgan des
Deutschen Hochschulverbands (DHV), in seinem Mai-Heft „Wissenschaft und
Politik“ zum Schwerpunktthema erkoren hat. Immerhin vier Aufsätze
(Bernhard Kempen, Klaus F. Gädertz, Karl-Rudof Korte, Armin Nassehi)
und ein Interview (Brigitta Wolff) sind ihm gewidmet. Die Beiträge
erörtern die schwierige Kommunikation zwischen Politik und Wissenschaft
aufgrund unterschiedlicher Ziele und Erwartungen (z.B. Kempen,
Nassehi), die Abgrenzung der wissenschaftlichen von politischen
(jenseits ihrer Expertise liegenden) Meinungen sowie die Grenzen der
Wissenschaftsfreiheit (Gädertz, Wolff). Allgemein angesprochen wird
zudem die Gefahr der Vereinnahmung der Wissenschaft durch übergriffige
Wünsche der Politik (Kempen, Wolff) und die Tendenz zum
Verantwortlichmachen der Wissenschaft für politische Entscheidungen
(Wolff; tendenziell auch Kempen, Korte). Die Ausgrenzungen der
vergangenen Jahre werden gestreift, kritisch („Jemanden auszuladen
finde ich problematisch“, Wolff) und unkritisch („Irrationalität im
Gewande von Verschwörungsfantasien und Falschnachrichten“, Korte).
Nicht anzumerken ist dem Schwerpunktheft, dass sich die Wissenschaft
quer durch die Disziplinen (inklusive meiner eigenen, der
Rechtswissenschaft) während der harten Corona-Jahre, als unsere
grundgesetzlichen Freiheiten im Zeichen „evidenzbasierter“ Politik ihre
größte Bewährungsprobe erlebten, weitestgehend von Staat und Politik
vereinnahmen ließ und in diesem Sinne versagt hat. 
Zur Erinnerung: Der Fall Lauterbach,
der so tat, „als sei er noch immer Wissenschaftler“ (Wolff), war dabei
nur eine Anekdote. Es ging viel weiter. Der Staat hat – nicht zuletzt
über seine überwiegend mit Wissenschaftlern besetzten Expertengremien
(z.B. STIKO, Deutscher Ethikrat), die zuverlässig lieferten – die ihm
genehme Wissenschaftsmeinung geradezu monopolisiert („follow the
science“), dabei flankiert durch unkritische Leitmedien und eine ganz
überwiegend regierungsnahe „Zivilgesellschaft“. Die dritte Gewalt,
namentlich Bundesverfassungs- und -verwaltungsgericht, stützte sich bei
der Aufgabe, härteste Grundrechtseingriffe auf Evidenzbasiertheit und
Verhältnismäßigkeit zu prüfen, auf dieselben „mit spezifisch
wissenschaftlicher Fachkompetenz ausgestatteten selbständigen
Bundesoberbehörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Gesundheit“ (BVerfG) wie der Gesetzgeber, den sie doch kontrollieren
sollten. Abweichende wissenschaftliche Meinungen hatten es
ausgesprochen schwer. Hochschulleitungen und Kollegen distanzierten
sich von Abweichlern (Stichworte: „keine Plattform bieten“,
Kontaktschuld); von den Leitmedien wurden sie geschnitten. Verfasser
kritischer wissenschaftlicher Beiträge in den „sozialen“ Medien
kämpften gegen Löschung, Drosselung, Demonetarisierung; sie wurden
verunglimpft („Wissenschaftsleugner“, „Verschwörungstheoretiker“,
„Querdenker“, „Rechtsextremer“) und ausgegrenzt. Der eine oder andere
verlor nicht nur seine Ehre, sondern auch seinen Arbeitsplatz.
„Politisch“ nicht „korrekte“ wissenschaftliche Meinungen riefen
staatlich finanzierte Faktenfinder auf den Plan, die vorgeben,
wissenschaftlich zu arbeiten und gerne ad personam argumentieren. Der
Begriff „Political Correctness“ liegt beim Thema „Wissenschaft und
Politik“ auf der Hand, kommt aber in keinem der fünf Beiträge vor.
Ebenso unerwähnt bleibt der Verein „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit
e.V.“, der 2021 entstand –aus gutem Grund. Auch die Verbände machten
mit. Allen voran der Hochschulverband, der 2021 und 2022 jeweils
ausgerechnet die Speerspitzen der staatlichen Corona-Politik – zwei
Virologen, zwei Impfstofffabrikanten – zu Hochschullehrern des Jahres
kürte. Geht es regierungsnäher? Im April-Heft 2023 erteilte unsere
Verbandszeitschrift auf der ersten Seite einem Berufspolitiker und
Nicht-Wissenschaftler (Kai Gehring) das Wort, der den ihm gewährten
Raum prompt nutzte, um Kernbegriffe seiner politischen Agenda zu
platzieren. Ich habe ein gewisses Verständnis für unseren Verein,
vertritt er doch Tausende von Hochschullehrern, von denen die meisten
mit dem Strom schwimmen. Aber das macht die Dinge nicht besser. Etwas
mehr Mut wäre wichtig, denn die Vereinnahmung geht weiter, mit neuen
Themen. 
Professor Dr. jur. Günter Reiner, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
(von der F&L-Redaktion nicht zur Veröffentlichung angenommen)
 
      
Leserbrief vom Mai 2020 an die Redaktion der
Zeitschrift "Forschung&Lehre", hrsg. im Auftrag des
Präsidiums des Deutschen Hochschulverbandes
Verfassungsfeinde
Der Beitrag „Nicht mitspielen ist keine Lösung: Politik gehört auf den Campus“ (F&L 5/20, S. 422, 424) der Rektorin und Professorin für Rechtswissenschaft Anja Steinbeck kann nicht unwidersprochen bleiben. Die geschätzte Fachkollegin schreibt, die Gefahr, „dass der
Redner oder die Rednerin im Rahmen der Veranstaltung verfassungsfeindliche Thesen vertreten wird“, sei „wohl nicht von der Hand zu weisen“ gewesen, als Thilo Sarrazin an die Universität Siegen eingeladen worden sei, um über „den neuen Tugendterror – die Grenzen
der Meinungsfreiheit in Deutschland” zu sprechen. Gleiches gelte für einen Vortrag des Präsidenten der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt an der Universität Frankfurt zum Thema „Polizeialltag in der Einwanderungsgesellschaft“. Es ist mit Verlaub starker Tobak, das Sprechen über die Grenzen der Meinungsfreiheit oder über den Polizeialltag en passant als „verfassungsfeindlich“ zu bezeichnen. Zu Sarrazin bietet Steinbeck nicht den mindesten Versuch einer Begründung, zu Wendt schreibt die Autorin (schein)erklärend, er habe sich kritisch zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel geäußert und die Errichtung eines Zauns an der deutschen Grenze vorgeschlagen. Verfassungsfeindlich bedeutet „Bekämpfen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestands des Staates. Gefährdet in diesem Sinne also die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit, immerhin eines Eckpfeilers des demokratischen Rechtsstaats, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Staates? Oder das Kritisieren der Kanzlerin und das Sorgen um den Schutz der Staatsgrenze? Das genaue Gegenteil erscheint richtig,in jeder Beziehung.
Prof. Dr. jur. Günter Reiner, Helmut-Schmidt-Unversität, Universität
der Bundeswehr Hamburg
(erschienen in F&L-Heft 6/2020, Seite 526)
Stand: 2025
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